"NON+ULTRA - Line Open": Zurück zu dem Wurzeln und darüber hinaus - Eine Konzertbetrachtung von Sascha Lindemann


Einsam stehen die Insignien im blauen Scheinwerferlicht: Synthesizer mit Namen wie ROLAND, KORG, YAMAHA und MOOG, teilweise Museumsstücke der Siebziger und Achtziger Jahre, teilweise innovative Neuentwicklungen. Nur einer scheint zu fehlen, man schaut sich erstaunt um zu Beginn dieses Konzerts, bei dem bereits die ersten Klänge zu hören sind. Doch dann kommt er, von hinten mitten durch das Publikum: Rainer Sauer. Es ist seine Rückkehr auf die Bühne und zugleich "Die Rückkehr der Synthesizer", wie er es nennt.

Dreieinhalb Jahrzehnte nach seinem ersten Konzert mit Elektromusik, zweieinhalb nach seiner größten Zeit Ende der Achtziger, tritt er wieder zwischen seine Klangerzeuger, von denen er eine Menge mitgebracht hat, und widmet sich doch zuerst den beiden GIBSON Gitarren, die links und rechts neben den Keyboards auf der Bühne stehen, überprüft deren Anschlüsse.

Der Mann, der seit 1991 in Jena lebt und arbeitet, ist heutzutage nicht etwa nur der Verwalter seiner Arbeit früherer Zeiten; seit einigen Jahren entwickelt und arbeitet er wieder an vorderster Stelle in der Synthesizermusik-Szene mit und ist inzwischen auch zu einem international anerkannten Experten für Musik mit APPLE iPhones und dem iPad geworden. Doch nutzt der Musiker seine iPhones und das iPad nur in einem bestimmten Teil seiner Konzerte und spielt ansonsten mit einer imposanten Installation aus rund 20 Synthesizern und noch einmal so vielen Effektgeräten, die er zu einer Art elektronischem Maschinenpark zusammengestellt hat. Rainer Sauer nennt sie "die ewigen Schaltkreise" und aus ihnen erklingt eine Mischung unterschiedlichster Synthesizerklänge, die in Deutschland ihresgleichen sucht.

Der Sound ist mitunter süß, wird dann wieder experimentell-bizarr, eine Art kurzzeitiger Strapaze für die Zuhörer, aus der es bei Sauer aber immer einen klanglichen Ausweg gibt. Ob er damit dem Stigma von "Fahrstuhlmusik" zu entkommen sucht, fragt man sich unwillkürlich, doch er sagt, auch das gehöre zur Elektromusik dazu. Instrumentale Hymnen haben Struktur, erklärt er, aber man müsse, um akustische Grenzen aufzuzeigen und auszuloten, auch einmal klangliche Komplexität und Atonalität a la Karlheinz Stockhausen oder Paul Hindemith präsentieren. So etwas findet man in der populären Musik viel zu selten, meint er, und Sauer erhält für seine Idee sogar Lob von ganz Großen der Musikszene: "Steve Reich asked me to tell you, that he had looked at the piece and many thanks for bringing it to his attention." schrieb ihm in diesem Jahr Andrew Rosner, der Agent der amerikanischen Minimal-Musik Legende.

Akribisch hat Sauer "Die Rückkehr der Synthesizer" über Jahre auf Festivals und Einzelkonzerten vorbereitet als demonstrative Mischung, was man mit analogen und digitalen Geräten, Keyboards, Gitarren und Geräuschen so alles machen kann. Heraus gekommen ist unter dem Titel "NON+ULTRA" eine volltönende Elektromusik-Mixtour durch alle Spielarten des Genres von Tangerine Dream über Jean Michel Jarre und Vangelis bis hin zu Brian Eno. Präsentiert zudem als räumliches Klangerlebnis in Vierklang-Quadrophonie und man merkt dem Gesamtpaket an: hier hat einer seine Obsession massentauglich gemacht.

Rainer Sauer ist inzwischen 55 und spielt seit vier Jahren wieder Elektromusik live, nachdem er die Jahre zuvor entweder Radiohörspiele machte oder aber (wie 2005 und 2006) gemeinsam mit Deutsch-Rocker Heinz Rudolf Kunze auftrat - für eines seiner Hörspiele erhielt er 2001 den "Thüringer Hörfunkpreis" der TLM.

Radio macht er im Übrigen seit 1983 und hatte seinerzeit beim Hessischen Rundfunk mit "Sounds vom Synthesizer" eine Sendung, die zum Kult wurde. Seine illustre Liste der Interviewgäste ist lang und reicht von Mike Oldfield über Klaus Schulze und Howard Jones bis zu Peter Gabriel. Sauer war es auch, der Künstler wie die Gruppe Camouflage ("Love Is A Shield") entdeckte und förderte.

Und genau diese Verbindung ist sein Erfolgsgeheimnis: er ist ein wenig die graue Eminenz der deutschen Elektromusik, weiß was er macht und vor allem, wie man es macht. Konzentriert und trotzdem fast schon cool bedient er sein Instrumente, jeder Zuhörer ahnt, dass ein einzelner Musiker mit zwei Händen und Füßen nicht all die Klänge die man hört live erzugen kann, aber man sieht ihn an den Reglern der Synthesizer, Computer und Sequencer drehen und Tasten drücken und merkt, dass hier einer die Übersicht und Kontrolle über die Klänge und Sounds hat und kein Playback abläuft.

"Die Rückkehr der Synthesizer" ist eine clever gemachte Show eines Künstlers, der in jungen Jahren anfing, sich für seine Sache zu interessieren und heute, da die Synthesizer-Pioniere lange von den Bühnen abgetreten sind, die Elektromusik den Menschen mit viel Liebe und Können zurückbringt. Und das verschafft einigen Zuhörern im Publikum ganz offensichtlich ein großartiges Gefühl.

"NON+ULTRA - Die Rückkehr der Synthesizer" bis Sommer 2014 in Deustchlang live zu erleben, unter anderem in Bochum, Jena, Köln, Hamburg und Frankfurt. Die genauen Termine findet man HIER. Das nachfolgende Video vom "Electronic Circus 2013" hat Thomas C. Brück aufgenommen.

Was Lou Reed mit Elektromusik und Augmented Sounds von Rainer Sauer zu tun hat


Ohne Lou Reeds Band The Velvet Underground hätte es niemals den Bandnamen Velvet Universe gegeben. Über "Walk On The Wild Side" war ich 1973 auf Lou aufmerksam geworden. Schnell besorgte ich mir die Musik der Band und stieß auf einen merkwürdigen Song des Albums "White Light / White Heat". Er hieß "the Gift" und während auf dem einen Kanal Lou Reed die tragische Kurzgeschichte von Waldo Jeffers* erzählte, spielte die Band auf dem anderen Kanal dreckig-rockige unperfekte Musik.

Trotz des sperrigsten Werks erkannte ich das Potential. Man konnte also tatsächlich Musik machen, die nicht vollkommen perfekt war und sie trotzdem auf Platte veröffentlichen. Das war eine neue Freiheit für mich.

Fortan machte auch ich manchmal Elektromusik, die experimentell-instrumental war - zwar nicht ganz so radikal, wie es Reed 1975 auf "Metal Machine Music" aufgezeigt hatte (Zitat vom Cover: "No Synthesizer, No ARP, No Panning, No Phasing"), aber immerhin eine Art Strapaze für jeden darstellt, der den Mut aufbrachte, es sich zu Gemüte zu führen...und anschließend mit mir darüber zu reden, weshalb ich dies und das gemacht hatte.

Später übernahm ich Lou Reeds Art der Beschreibung des verwendeten Equipents auf "Metal Machine Music" und empfehle das Album bis heute allen Leuten, die mich fragen, weshalb man Elektromusik auch ohne Synthesizer machen kann.

Außerdem wären für mich Augmented Sounds, so wie ich sie heute mache, ohne Lou Reed und Brian Eno so nicht vorstellbar.

Hier sind meine Top 5 der Lou Reed Songs:

1. "Walk on the Wild Side" (aus: "Transformer" / 1972)

2. "Perfect Day" (aus: "Transformer" / 1972)

3. "Sweet Jane" (aus: "Loaded" / 1970)

4. "The Gift" (aus: "White Light / White Heat" / 1968)

5. "Waiting for the Man" (aus: "The Velvet Underground & Nico" / 1967)

-------------------------------------------------------- 

* = Die Erzählung handelt von Waldo Jeffers, einem verliebten jungen Mann, der eine Fern-Beziehung mit seiner College- Freundin Marsha Bronson führt. Zwar hatten sich beide ewige Liebe geschworen, doch Waldo ist zunehmend besorgt, dass Marsha ihm vielleicht doch nicht so treu ist, wie sie es ihm versprochen hatte. Und in der Tat lebt diese im fernen Wisconsin ein alles andere als sittsames Leben, wovon Waldo allerdings keine Kenntnis hat.

Also spart er Geld um Marsha in Wisconsin zu besuchen. Da es aber für eine Bus- oder Bahnreise nicht ausreicht, schmiedet Waldo Jeffers einen - wie sich noch zeigen wird - todsicheren Plan. Er versendt sich selbst mit der Post in einem großen, gepolsterten Karton. Waldo ist sogar davon überzeugt, Marsha eine riesengroße Überraschung damit zu bereiten, wenn er am Ende aus dem Karton springen und vor ihr stehten wird.

Als das Paket geliefert wird, lässt Marsha zusammen mit ihrer Freundin Sheila gerade das vergangene Wochenende Revue passieren, an dem sie mit einem Mann namens Bill geschlafen hatte. Als das Paket ins Haus getragen wird, ist Waldo ganz aufgeregt, wie es Marsha gelingen wird, das Paket zu öffnen. Und in der Tat ist dies ein schwieriges Unterfangen.

Marsha holt schließlich dem Keller eine große Blechschere und mit dieser öffnet Sheila das Paket, in dem sie mehrmals durch den Deckel sticht und dabei Waldos Kopf trifft, aus dem sich anschließen das Blut in kleinen Fontänen sprudelnd in die gerade aufgehende Morgensonne ergießt.